Session # 19 – Thorwaler in der Dämonenbrache
“Bei Swafnir, haltet Stand!”, schreit eine Frauenstimme. Kurz nachdem der Ruf verhallt ist,
preschen wir voran durch den für diese Jahreszeit viel zu warmen Sumpf. Unter unseren
Füßen gibt der matschigen Boden leicht nach, es riecht nach Morast und der süßlich-käsige
Geruch von Verwesung hängt in der Luft. Einzelne Schneeflocken streifen mein Gesicht. Es
ist ein seltsames Wetter, bei Phex, das kann nicht mit rechten Dingen zugehen.
Wir kommen bei der Quelle des Rufes ein: Eine Thorwalerin liegt weit von uns entfernt an
einem Baum, sie scheint schwer verletzt. Zwei weitere Thorwaler stehen schützend vor ihr,
die Waffen erhoben. Sie blicken grimmig drein. Vor ihnen teils im Sumpf versunken, teils auf
Baumstämmen balancierend, teils über den nassen Boden schlurfend, befindet sich ein Pulk
Untote. Der größere der beiden Thorwaler hat eine breite Zweihandaxt.
Irgendwie bleibt mein Blick an ihm haften. während meine Gefährten sich im Gelände
verteilen, um ein gutes Schussfeld zu haben oder sich direkt in die Ansammlung der Untoten
stürzen, um sie im Nahkampf zu bezwingen, betrachte ich ihn eingehend.
Ich schaue ihm gebannt dabei zu, als er mit der Axt ausholt, um den Untoten vor sich
abzuwehren. Wie ein kleines Kind, das bei den Arenakämpfen von Punin mitfiebert, mache
ich Angriffsbewegungen mit einer imaginären Waffe und kann meinen Augen kaum
glauben, als der Hühne dieselben Bewegungen ausführt wie ich. Es ist unglaublich, als ob ich
ihn steuern würde.
Währenddessen greifen meine heldenhaften Gelben Knöpfe bereits in das Geschehen ein.
Garalor spießt zum Beispiel einen der Untoten auf dem Baumstumpf balancierend auf.
Aus meinem Augenwinkel sehe ich wie unsere Amalia einen Pfeil aus ihrem Köcher zieht. Ich
schaue zu ihr hinüber und wie in Zeitlupe spielt sich das Folgende ab: Den Pfeil legt sie in
einer geschmeidigen Bewegung in die Sehne, ihr Zeigefinger hält ihn an Ort und Stelle. Als
sie den Oberkörper aufrichtet, spannt sie den Bogen so schnell und kraftvoll, dass es
knirscht und ihre langen Haare über die Schultern gleiten. Die letzten Zentimeter zieht sie
behutsam und lässt den Bogen, der noch über das Ziel zeigt, dabei langsam ab. Ihr Körper
zeigt zu mir, sodass ich genau sehe wie sich die Sehne erst zart und dann immer tiefer in
ihre Wange drückt, bis sie die Sehne maximal gespannt hält. Ein kurzer Augenblick der
Konzentration, das Ziel klar im Blick. Sie atmet aus und öffnet kaum merklich ihre Finger.
Mit einem kernigen Geräusch verlässt der Pfeil den Bogen und er beschreibt die perfekteste
Flugbahn, die je ein Pfeil in ganz Aventurien hingelegt hat. Wenn in den Vorlesungen über
Ästhetik an der Halle der schönen Künste zu Kuslik über die zwölfgöttliche Erhabenheit
aventurischer Geometrie doziert, dann ist diese Flugkurve damit gemeint.
Ich folge dem Geschoss in der Luft mit meinem Blick und mit einem dumpf knackenden
Einschlag findet es sein Ziel. Ein Untoter, der hüfthoch durch das Wasser watet, hielt bis
eben seinen eigenen Kopf am ausgestreckten Arm und schaute sich damit um. Mit Wucht
wird ihm dieser nur aus der Hand gerissen. Durch Amalias Schuss verliert der Unhold gleich
ein zweites mal seine Rübe und kann sich jetzt selbst Unterwasser dabei zuschauen, wie er
nach seinem eigenen Kopf sucht.
Auch Lafadiel beharkt die Unholde mit Pfeilen, die Thorwaler wehren sich nach
Leibeskräften, Cyrill verteidigt gekonnt mit seinem Schild. Seine Technik ist atemberaubend,
sieht es doch immer so aus als formten mehrere Schilde einen ganzen Wall, obwohl er nur
einen trägt.
Ein Rempler von hinten wirft mich fast ins nasse Gras. Scheppernd kommt Janus an mir
vorbeimarschiert und bewegt sich mit seiner Höchstgeschwindigkeit von 0,3 Halbfingern pro
Stunde Richtung Gemetzel.
Neben Garalor, der immer noch auf dem Baumstamm balanciert, welcher eine
brackwässrige Stelle überbrückt, taucht plötzlich eine Ungestalt auf, die mit mehreren
Tentakeln ausgestattet um sich schlägt und nach Opfern sucht.
Nun verläuft die Zeit in meiner Wahrnehmung wieder normal: Garalor verteidigt geschickt
Angriffe verschiedener Gegner aus allen Richtungen mit seinem wirbelnden Speer, Cyrill
fängt wuchtige Schläge mit seinem Schild ab, Amalia landet einen weiteren Treffer gegen
eine untoten Echse, der Thorwaler zu dem ich eine besondere Verbindung spüre, köpft zwei
der Zombies vor sich und mit einem ohrenbetäubenden Krachen und ausgestreckten Armen
sendet Lafadiel die vernichtende Kraft eines Fulminictus Donnerkeil gegen das Wesen mit
den vielen Tentakeln, welche daraufhin kraftlos platschend ins Wasser fallen und langsam
mit dem Körper untergehen.
Freund Janus ist mir völlig entgangen und als ich mich nach ihm umblicke, sehe ich nur wie
er neben Garalor durch das Brackwasser plantscht und bis zur Hüfte versunken ist.
Die Zwölfe stehen uns bei, mein bester Freund ist dabei unterzugehen. Ich muss ihm helfen!
Mit langen Schritten renne ich zu ihm, lüpfe meine Robe beim Rennen über die Knie, wie
eine Schankmaid auf der Flucht vor dem Gast der den ganzen Abend mächtig Trinkgeld
gegeben hat und nach der Sperrstunde auf dem Heimweg auf mehr hofft und rase völlig
selbstvergessen ins Wasser hinein. Mit ausgestreckten Armen steuere ich auf die
Rückenpanzerung von Freund Janus zu, um ihn aus dem Wasser zu schieben und vor dem
Ertrinken zu bewahren. Das Wasser spritzt unter meinen Schritten in alle Richtungen! Doch
als ich ihn erreich, gleiten meine Hände am nassen Metall ab und ich schlage mit der Wange
im Harnisch ein, dass ich nur noch Sterne sehe und mir für einen kurzen Blick all meine Kraft
aus den Gliedern weicht. Nun bin ich derjenige, der untergeht.
Prustend rudere ich mit den Armen, schlage mit den Beinen und rufe um Hilfe. Nach einer
gefühlten Ewigkeit taucht das Antlitz von Lafadiel auf und sie zieht mich aus dem stinkenden
Sumpfwasser. Der Moment danach ist etwas peinlich, da man an dieser Stelle wirklich nur
bis knapp unter die Hüfte im Wasser steht. Wäre ich einfach aufgestanden, hätte ich nicht
so einen Zirkus machen müssen. Verlegen und dankbar grinse ich Lafadiel schief an und
wende mich dann ab.
Die verwundete Thorwalerin wird von Amalia versorgt, aus zwei stehenden Thorwalern
wurde einer und nach meinem unfreiwilligen Bad scheint sich auch das Band zwischen dem
Hünen und mir gelöst zu haben. Spätestens als er seinem gefallenen Kameraden den Kopf
abschlägt, fühle ich davon nichts mehr. Der Hüne stellt sich als Raluf der Kühne vor. Seine
bewusstlose Kameradin ist die Hetfrau Swafnira Torbensdottir. Trobensdottir!? Eigenartiger
Nachname.
Ich frage mich, ob eigeborene thorwalische Hexen dann auch zum Beispiel “Apolda Eidottir”
heißen. Das wäre ja mal lustig.
Die beiden waren Teil der Expedition von der uns Apolda vorhin berichtet hatte. Insgesamt
haben sie neun Tote zu beklagen, sechs davon alleine am Turm. Nachdem die beiden durch
unsere Heiltränke wieder auf den Beinen sind und Swafnira sofort nachdem sie das
Bewusstsein wiedererlangt hat Amalia attackiert, wollen sie mit uns weiterkämpfen und
zum Turm zurückkehren. Ganz schön hart im Nehmen diese Thorwaler.
Das Vorstellen unserer Truppe lasse ich mir nicht nehmen und als ich zur Begrüßung einen
gelben Knopf überreiche, scheint Raluf das Zeichen zu erkennen. Hört, hört! Unsere Taten
sprechen sich immer weiter rum, sogar Thorwaler wissen nun schon davon.
Wir machen uns auf zum schwarzen Turm, umgehen einzelne, ziellos umherstolpernde
untote Humanoide und finden das Gebäude so vor, wie wir es verlassen haben. Ein
gespenstisches Gefühl. Es fühlt sich an als sei bereits eine Ewigkeit vergangen, als wir hier
den jungen Liscer und Luzinda befreit haben.
Im langen Gang unter dem Turm liegen immer noch die Gebeine der Skelette rum, aber mir
kam es beim letzten mal so vor, als hätten wir mehr erschlagen als hier liegt. Seis drum.
Retun Gorroks Leichnam ist jedenfalls noch da. Garalor holt nach, was wir damals versäumt
haben und zerstört seinen Kopf. Als neue Brücke dient uns nun der Schreibtisch des
Schwarzmagiers, das Provisorium vom letzten mal ist mit dem Feuergolem in die Fluten des
unterirdischen Baches gestürzt.
Wie bei unserem ersten Besuch stehen wir nun wieder vor dem Portal mit den großen
Türen und dem großen Saal dahinter, wo wir Apolda aus der Zeitblase befreit haben. Doch
nun ist nicht nur ein Heshtod hier drin, sondern auch ein Haufen Untoter mit glühenden
Augen. Auf der Plattform an der hinteren Wand steht ein bereits verwester Magier der
befehlend die Hand hebt.
Überraschend verlässt der Hesthtod den Bannkreis und attackiert uns. Aus dem Feuerkorb
neben ihm hebe ich die brennenden Kohlen in die Luft und schleudere sie auf den
Befehlshaber der Bande. Seine Robe fängt Feuer und er schlägt wild um sich.
Im selben Moment ist der wilde Mob aus Untoten mit übernatürlicher Geschwindigkeit
herangestürmt und bedrängt uns mit immenser Kraft. Als mich ein Zombie angreifen will,
wirft sich Garalor heldenhaft dazwischen.