Session 24 – Gen Norden

Session 24 – Gen Norden

Session #24 – Die erste Fahrt
Bevor wir auf unsere Reise starten, mit der ich mich langsam aber sicher abgefunden habe, weist mich
Cyrill darauf hin, dass es noch einen Schuldschein einzulösen gilt. Also noch mal kurz im Freudenhaus
vorbeigeschaut, um die fehlenden zwei Dukaten für das Gemälde einzutreiben.
Bei Phex, der Schlingel ist nicht da, doch seine Angestellte streckt die Dukaten vor nachdem sie Cyrill
sieht. Wir sind eine gute Kombination.
Nach Tagen der vollen Hosen fühle ich mich zum ersten mal wieder richtig gut gelaunt, schlendere die
Straße entlang und genieße den letzten Abend, bevor es zur Lehre auf die Seeadler geht. Wir werden
wohl wirklich Seefrauen und -männer. Ich kann es kaum glauben.
Raluff, Phileasson und die erfahrenen Seebären weisen uns ein und jeder sucht sich sein Plätzchen.
Janus setzt sich neben mich, was mich sehr freut. Wir finden auf der Back … nein … Steuer … moment
… wo war das Steuer? Richtig, auf der Seite unserer Ruderbank. Also: Wir finden auf der
Steuerbordseite eine Bank, genau neben dem Mast. Das mit dem rhythmischen Schnaufen und Rudern
muss ich noch üben. Wie ein Fähnchen im Wind hänge ich am Ruder, wenn Janus genau zum richtigen
Zeitpunkt durchzieht. Dann rutscht das Ruderholz über mich drüber, als ob ich ein Nudelteig wäre.
So vergeht der erste Tag recht zügig und abends in Phileassons Halla lernt man sich gegenseitig
kennen, so auch Inu, den Moha voller Tattoos, der nichts lieber will als mit seinem innig geliebten
Schwert Pukanape zurück in den Süden, und den schüchternen Nivesen Grotet. Er ist angeblich freiwillig
von seiner Sippe, den Seyhran-Rok fortgegangen, um Abenteuer zu erleben. Da muss ich mehr
erfahren, wer verlässt den freiwillig seine Sippe?
Auch Phileassons alte Crew, die gemäß der Regularien des Wettfahrens zurückbleiben muss, sitzt mit
uns am Tisch. Irgendwann weht echt starkes Rauchkraut herüber und bei einigen wirkt es, als hätte ihn
die Fee den Kopf verdreht.
Von Philleason war den ganzen Abend nichts zu sehen.
Am zweiten Ausbildungstag spreche ich ihn auf sein Fehlen am Vorabend an. Er meint, dass er mehr in
Erfahrung bringen wolle und deshalb mit vielen Leute spreche. Ich biete ihm unsere Dienste bei der
Informationsbeschaffung an, doch er kommt vor unserer Abfahrt nicht mehr darauf zurück.
Am fünften Ausbildungstag findet unsere erste Probefahrt statt: Ein Rennen gegen ein anderes
Drachenboot. Wir verlieren leider. Und ebenso verliere ich meinen treuen Gefährten Felix und meinen
Karren. Bei den Zwölfen, wer hätte das gedacht? Der gute Felix hat mich jahrelang begleitet, immerzu
meinen Karren gezogen, war stets pflichtbewusst und … ich hätte mir ein Beispiel nehmen sollen an
ihm. Ich will mir ein Beispiel nehmen. Die alte Crew Philleasons erklärt sich bereit die Pflege und
Unterbringung von Felix und meinem Gauklerwagen zu übernehmen. Das erleichtert mich. Während in
der Halla der letzte Abend gefeiert wird, ziehe ich mich zurück.
Unüblich, ich weiß.
Im Schein der zwergischen Grubenlampe aus dem Stollen bei Paßweiser, sitze ich im Stroh bei Felix.
Oder auch Boror, sein eigentlicher Name, wie mir Lafadiel sagt.
Im warmen Licht der Lampe beobachte ich ihn, wie er in aller Seelenruhe sein Heu frisst, als könne
nichts passieren und als läge kein großer Wandel in seinem Leben vor ihm. Für ihn zählt nur der
Moment und hier im dunklen Unterstand sitze ich nun und lausche seinem mahlenden Kiefer, dem leisen
Rascheln des Futters, wenn er den nächsten Happen aus der Raufe zieht, dem leisen Schaben seiner
kleinen Hufe bei jeder Gewichtsverlagerung. Ich beobachte seine Lippen wie sie plappernd und
zielsicher nach den schmackhaftesten Halmen suchen, wie sich seine Nüstern blähen und der
ausgestoßene Atem sichtbar wird in der kalten Luft Thorwals. Seine dunklen Augen, die immer ein
bisschen von zotteliger Mähne in der etwas Stroh steckt verdeckt sind, blicken gelassen und zufrieden.
Auch seinen Duft nehme ich heute Abend intensiver war, dieser besondere Duft von Pferden, eindeutig
zu erkennen.
So viele Sinneseindrücke wie ich kann versuche ich mir einzuprägen. Es werden viele Wochen vergehen
bis wir uns wiedersehen, vielleicht sogar mehrere Jahre.
Die meiste Ausrüstung oder Vorräte aus dem Wagen sind verbraucht oder verkauft. Was übrig ist,
schnüre ich zu einem Reisebündel oder verstaue es im Rucksack, um es mit an Bord zu nehmen.
Als ich die guten Stoffbahnen aus dem dunklen Turm in der Dämonenbrache in der Hand halte, zögere
ich kurz.
Hm, Schiffe haben doch Flaggen. Und das Schiff Phileassons hat eine Flagge mit dem Wappen seiner
Otta, dem Seeadler. In den Gesprächen mit den Thorwalern die Abende zuvor habe ich erfahren, dass

Ottas sich scheinbar nicht vermischen und dann einen neuen Namen annehmen und schon gar nicht mit
aussenstehenden Gruppen, wie z.B. der sagenumwobenen, bald in Legenden erwähnten und in Liedern
besungenen Heldensippe der gelben Knöpfe. Noch bevor ich den Gedanken zu Ende gebracht habe,
schneiden meine Händen den Stoff zurecht, nähen und sticken was das Zeug hält und am Ende halte
ich eine Flagge in Händen, die mir passend erscheint auf dem Schiff Philleassons zum richtigen
Zeitpunkt gehisst zu werden. Es wird aber nichts verraten.
Zufrieden mit mir und meinem Werk räume ich zusammen und lege mich neben den schlafenden Felix
ins Stroh.
Mach’s gut mein Freund. Mokoschka sei mit dir.
Der Tag der Abreise! Mit lauter Stimme verkündet Hetfrau Garhelt die Bedingungen der Wettfahrt: 3×4
Questen sind zu bestehen, 80 Wochen sollen wir unterwegs sein, die Gegner dürfen behindert aber nicht
getötet werden und der erste Halt ist Yeti-Land, im nördlichen Aventurien. Ha! Ihr müsstet Inus Gesicht
sehen. Wie ein Maraskaner dem man sagt, dass er Einzelkind ist.
Die Ausfahrt aus Thorwal ist alles andere als gemütlich. Tosender Beifall brandet am Kai auf,
Glückwünsche und Jubelrufe sind zu hören, doch um diese zu genießen bleibt kaum Zeit. Beorn erhöht
sofort die Schlagzahl seiner Crew und natürlich ziehen wir gleich. Nach einem kleinen Patzer des
anderen Schiffes liegen wir um Haaresbreite vorne und diese Gelegenheit nutze ich. Ich springe von
meinem Platz auf und renne unter den Blicken aller ans Heck unseres Schiffes, von wo ich einen guten
Blick auf Beorns Kahn habe. Ich konzentriere mich und wirke eine hervorragende Illusion: Einige Schritt
vor dem gegnerischen Boot erscheint ein Eisberg knapp unter der Wasseroberfläche. Als er unter lautem
Rufen vom Ausguck gemeldet wird, bricht Chaos aus. Kopflose Manöver werden gefahren, um dem
vermeintlichen Hindernis das droht den Schiffsrumpf aufzuschlitzen auszuweichen.
Das verschafft uns einen guten Vorsprung! Siegessicher und mit Stolz geschwellter Brust laufe ich an
meinen Crewmitgliedern vorbei, nicke hier und da in die Menge, wie ein Schauspieler, der den Applaus
der Zuschauer entgegennimmt und setze mich neben Janus. Der hat wie immer sein neutrales Gesicht
aufgesetzt, was bedeutet, dass er sehr gut fand was ich gerade getan habe. Mittlerweile kenne ich ihn
nämlich sehr gut.
Irgendwann herrscht Flaute und Ohm Follker stimmt das Lied von Torstor von Om an. Aus Leibeskräften
singe ich mit, um die Stimmung zu heben. Gefällt mir.
Nahe Skêrdun wird die Stimmung dann plötzlich angespannt. Ein Nebel zieht auf und der Nebel zieht
nicht nur auf, sondern ändert auch noch die Farbe. Phileasson bleibt gelassen, sogar dann noch als sich
ein riesiges, schwarzes Drachenboot aus dem Nebel schält und neben uns fest macht. Tula von Skêrdun
mit ihrer Entourage aus ihr verfallenen Männern betritt das Boot.
Doch entgegen meiner Erwartung, dass jetzt Ärger angesagt ist, redet sie recht vernünftig mit
Phileasson und wünscht für das Vorhaben gutes Gelingen. Recht nett die Dame, muss man sagen.
Im Verlaufe der nächsten Passage Richtung Olport zieht am Horizont eine dunkle Wolkenbank auf und
nähert sich uns. Ein Sturm zieht auf und was für einer. Binnen weniger Minuten ist aus dem Lüftchen,
welches uns bequem die Segel füllt und gut Strecke machen lässt ein, ausgewachsener Sturm
geworden. Ich bekomme es mit der Angst zu tun wende ich all das Gelernte aus der Knotenkunde an
und binde mich selbst am Mast fest. Damit ich ja nicht über Bord gehe, klammere ich mich fest und
presse meine Wange an das von vielen Händen über die Jahre speckig gewordene Holz. Auch
Phileasson wirkt jetzt angespannt. Aus meinen zusammengepressten Augen sehe ich gerade noch wie
Thorgal sich erhebt und einen Zauber wirkt, der den Wind tatsächlich für einige Zeit abschwächt. Die
Crew legt sich unter Philleassons Befehlen ordentlich in die Riemen, doch das immer wieder über die
Reling schwappende, eiskalte Wasser fordert seinen Tribut. Und so laufen wir auf Kreidefelsen auf. Ein
donnernder Schlag kündet von unserem Aufprall und einige Brocken und Splitter verletzen mich. Als ich
zu Janus herüberblicke ist dieser von zahlreichen Wunden blutüberströmt und kurz vor der Ohnmacht.
Irgendwann, zwischen all dem Geschaukel, Windgetose, sprühenden Wasser und Gebibber nehme ich
wahr, dass sich uns Lichter nähern. Aus dem nicht mehr fernen Olport eilen Schiffe herbei, um uns in
den sicheren Hafen zu geleiten.

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